In meinem früheren Berufsleben vor der Hochzeitsfotografie habe ich als Diplom-Bibliothekarin (FH) gearbeitet, mit anderen Worten: als Profi-Klugscheisserin ; – )
Deshalb verbinde ich hier diese beiden Welten und rezensiere ein paar Bücher über Fotografie. Genau genommen handelt es sich um Analysen, denn ich habe mir angesehen, ob die beschriebene Strategie aus meiner Sicht als Hochzeitsfotografin funktioniert.

Wer sich nur in Kurzform dafür interessiert, ob das jeweilige Buch für eigene Zwecke interessant sein könnte, mein Fazit habe ich vorangestellt.

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Dieses Buch stand lange in meinem Regal, bis ich im Februar 2020 endlich mal Zeit zum Lesen gefunden habe:

Cover: Psychologie der Fotografie

Zusammenfassung
Der Autor ist engagierter Freizeitfotograf und Leiter des Lehrstuhls für klinische Psychologie / Psychotherapie an der Universität Heidelberg. Er will mit dem Buch Anregungen dafür geben, ungestellte authentische Portraits zu fotografieren: Wie können Fotograf und Model für dieses Ziel zusammenwirken, und was ist dabei wichtig? Foto-Technik spielt dabei fast keine Rolle, sie zu beherrschen wird als Grundvoraussetzung angenommen.

Mein Fazit zu diesem Buch
Einige konkrete Herangehensweisen, z.B. „Porträtsitzungen“ und den Trick des heimlichen Spiegelns (im NLP-Sinne, siehe unten) finde ich ungeeignet, um das angestrebte Ziel „authentischer Porträts“ zu erreichen. Auch die mangelnde Übertragbarkeit der Studiosituation mit psychisch belasteten Models auf sozusagen „normale“ Models stört mich. Auf den ersten Blick war das Buch thematisch sehr interessant für mich persönlich. Ich habe aber festgestellt, dass ich in wesentlichen Punkten andere Strategien habe. Insgesamt wechseln sich ein paar gute Ideen ab mit solchen, die für mich nicht funktionieren, so dass ich den Nutzen für mich selber als mittelmäßig bewerte.
Es wundert mich jedoch nicht, dass die Mehrzahl der Rezensionen eher positiv ausfällt, denn meine Kritik geht sehr ins Detail und greift auf einer Ebene an, die viele Freizeitfotografen allein aus Zeitgründen schwer erreichen können.

Wer allerdings einen Denkanstoß und eine Grundlage braucht, die eigene Art der Portraitfotografie (vollständig?) zu überarbeiten, kann das Buch wahrscheinlich mit Gewinn lesen. Insbesondere Freizeitfotografen, die bisher sehr auf gestellte Posen fixiert waren und wie man diese (tot-)perfektionieren kann, werden vom Grundgedanken dieses Buches profitieren. Für „reine“ Künstler, die nicht kommerziell bzw. im Auftrag fotografieren, sind einige Kapitel sicherlich ebenfalls interessant, zum Beispiel die Anregung zur Fototherapie / Selbstportraits. Auch die Grundfrage „Kopf oder Bauch?“ können viele Fotografinnen und Fotografen mit Hilfe dieses Buches wahrscheinlich für sich selbst beantworten, also auf welche Art Bauchgefühl und Verstand beim Fotografieren zusammenarbeiten und ob das Gleichgewicht für einen selbst stimmt.

Rezension / Analyse „Psychologie der Fotografie“
Die erste Frage für mich: Ist das überhaupt möglich, die Anfertigung „wahrhafter, ehrlicher, einfacher, aber trotzdem intensiver, oder sagen wir `psychologischer Porträts´ “ (Barnow, S. 2), anders ausgedrückt im Klappentext „authentisch, unverstellt, ohne Pose“?
Meine Meinung dazu: Auch Psychologen können Menschen nur vor den Kopf gucken, und ob ein Portrait authentisch ist oder zumindest authentisch wirkt, kann höchstens jemand beurteilen, der die Person länger kennt (die Person selbst manchmal nicht ; – ) ).
Meiner Meinung wäre es passender, nicht von authentischen bzw. „wahrhaftigen“, sondern von „typischen“ oder „charakteristischen“ Portraits zu sprechen: Ist eine Person auf einem Foto so abgebildet, wie sie in einer bestimmten Situation tatsächlich regelmäßig reagiert? Das ist sozusagen überprüfbar, das können nahestehende Personen meistens beurteilen.
Barnow spürt der Frage nach dem „guten“ Portrait und was es ausmacht in mehreren Interviews nach und beleuchtet dabei die Sichtweisen anderer Fotografen, was durchaus interessant ist. Dabei spielt auch eine Rolle, ob ein authentisches Portrait gefällig sein darf.
Aber ob es authentische Portraits nun wirklich gibt oder nicht – das ist wohl eine Frage, die niemand beantworten kann. Aber sicherlich gibt es Strategien, um einem „authentischen“ Portrait möglichst nahe zu kommen. Ob und wenn ja wie dieses Buch dabei hilfreich ist, habe ich in folgendem Text auseinanderpflückt.

Ohne Zweifel sind für mich „authentische“ oder wie ich sagen würde „charakteristische“ Portraits interessanter als gestellte Fotos – immer vorausgesetzt, dass das Portrait tatsächlich ungestellt ist. Deshalb bin ich Reportagefotografin. Gleich im ersten Kapitel ist mir deshalb ein Wort ins Auge gefallen: „Porträtsitzung“. Dieses Wort hat mich sofort getriggert, denn es fasst ziemlich gut zusammen, warum ich schwerpunktmäßig Hochzeitsreportagen oder Familienreportagen fotografiere, auch sonst fast immer vor Ort bei Kunden arbeite und kein Studio habe:
Es erscheint mir absurd, in einer „Porträtsitzung“ in einem Fotostudio zu versuchen, ein echtes, authentisches Portrait anzufertigen. Manche Models bzw. Kunden fühlen sich in einem Fotostudio unter Scheinwerfern wie beim Zahnarzt. Als Fotografin müsste ich dann erstmal dafür sorgen, dass die eingeschüchterten Menschen sich wieder wohlfühlen, also mit anderen Worten, ich müsste ein Problem lösen, was ich selbst geschaffen habe.

Barnow fertigt viele seiner Portraits im Studio an und beschreibt Vertrauensaufbau als seine Grund-Strategie, um mit der Situation umzugehen. Das kommt mir allerdings selbstverständlich vor, deshalb ist eher interessant, wie er als Psychologe mit dem Vertrauensaufbau im Detail umgeht.
Die hier genannten Strategien sind relativ kurz zusammengefasst (wie z.B. „Loben ohne dass es platt wirkt“, Intensität herstellen, Auswirkung von Blickkontakt, Konzentration, Bedeutung wertfreier Begegnungen). Sie sind schon seit Jahren häufig Bestandteil von Schulungen für Mitarbeitergespräche, Führungskräfteschulungen und Ausbildereignungsseminaren oder Verkäuferschulungen. Also inzwischen fast Allgemeinwissen, aber natürlich in diesem Zusammenhang ausschließlich auf die Portraitsession-Situation gemünzt und knapp zusammengefasst. Das Grundprinzip bleibt aber gleich, auch bei einem Mitarbeitergespräch zum Beispiel sollte es keine Störungen geben.
Wer diese vertrauensbildenden Maßnahmen trotzdem nicht kennt, um eine Basisbeziehung zum Gegenüber herzustellen, muss eine Weile üben, bis es authentisch ; – ) rüberkommt. Dass während einer Fotosession zugunsten der Konzentration das Handy ausgeschaltet wird, sollte eigentlich selbstverständlich sein.

Als Übung empfielt Barnow, im Alltagsleben nahestehende Personen über einen längeren Zeitraum regelmäßig zu fotografieren. Das ist nicht nur für Freizeitfotografen ein sehr guter Ansatz zu trainieren, neue Kameras teste ich nur auf diesem Weg.
Auch Streetfotografie erwähnt er mehrfach als Möglichkeit, authentische Portraits anzufertigen. Dafür benötigen Fotografen natürlich das Einverständnis der betroffenen Person(en), insbesondere wenn sie die Fotos hinterher auch veröffentlichen wollen. Das heißt, wirklich spontanes, beobachtendes Fotografieren fremder Personen ist allein aus rechtlicher Sicht nicht möglich – moralisch fand ich es auch ohne DSGVO zumindest zweifelhaft, Fremden einfach so aufzulauern. Und wenn ich vorher Kontakt aufnehme und um Erlaubnis bitte, ist die Spontaneität weg.
Das Buch ist 2016 erschienen, also bevor die DSGVO endgültig in Kraft trat. Es war zwar schon vorher nicht erlaubt, sich einzelne fremde Personen herauszugreifen, zu portraitieren und die Bilder dann ungefragt zu veröffentlichen, darum sind wegen der Verletzung von Persönlichkeitsrechten auch immer wieder Prozesse geführt worden. Durch die DSGVO ist der bürokratische Aufwand für Fotografen aber weiter gestiegen – inzwischen reicht ein einfaches mündliches „Klar, kannste veröffentlichen“ nicht mehr aus.

In einem eigenen Kapitel geht Barnow auf das Thema Körperhaltung ein, was in einem klassischen Fotografie-Ratgeber das Posing wäre. Er beschreibt, wie sich die Körperhaltung auf die Psyche auswirkt, stellt eine Übung zur spontanen Entspannung vor welche und wie so genanntes „Mirroring“ (Spiegeln) funktioniert. Auf diese Art kann ein Fotograf massiven Einfluss auf das Model nehmen, rein theoretisch ein sehr interessanter Aspekt.
Mein Kommentar dazu: „Ehrlich“ und mit Ansage eingesetzt, kann Spiegeln bzw. simples Vormachen tatsächlich einem Model gut dabei helfen zu erkennen, was der Fotograf meint. Viele Fotografen (Regisseure, Lehrer…) machen das so, oft unbewusst. Eigentlich ist Spiegeln eine natürliche Verhaltensweise des Menschen, darüber entsteht eine Verbindung, zwei Personen synchronisieren sich sozusagen. Dieses Phänomen haben Wissenschaftler beobachtet, und dann hat diese Erkenntnis Eingang gefunden in den Alltag: Die Technik des Spiegelns wurde vor mehr als dreißig Jahren im Rahmen des so genannten NLP auf dem Psychoratgeber-und Schulungsmarkt ausgeschlachtet, z.B. für Verkäufer, Trainer / Lehrer. (NLP = Neurolingistisches Programmieren , Link zur Stichwortsuche zu Titeln in der Deutschen Nationalbibliothek). Das gesamte NLP geriet damals als manipulative Technik sehr in die Kritik, weil eine unwissende Person NLP in der Regel ziemlich ausgeliefert ist. Deshalb finde ich es seltsam, im Zusammenhang mit „authentischen“ Portraits von der Technik des Spiegelns zu lesen. Das passt nicht zusammen.
Barnow scheint das Spiegeln tatsächlich in der versteckten Variante nutzen zu wollen, denn er gibt an einer Stelle die Übungsaufgaben an den Leser: „Wie reagiert das Model auf subtile Veränderungen meiner Körperhaltung?“
Bei durch Verkäuferseminare einschlägig vorgebildeten Models funktioniert die Technik nicht unbedingt, inzwischen sind ganze Berufsgruppen darauf trainiert NLP-Techniken abzublocken, und fühlen sich dementsprechend vera****t, wenn sie merken, dass ein Fotograf auf die Art die Führung über ihr Verhalten übernehmen will.

Zusammengefasst, all die Tricks – insbesondere bewusstes manipulatives Spiegeln – bewirken sehr viel Interaktion zwischen Model und Fotograf. Und deshalb würde ich nach Anwendung dieser Techniken nicht mehr von authentischen Portraits sprechen wollen. Das Ergebnis wird massiv verfälscht. Der Fotograf versucht, auf kleinste Dinge Einfluss zu nehmen, und ich sehe es als zweifelhaft, ob selbst der geschickteste Psychologe es schafft, dabei ein Model authentisch aussehen zu lassen (Barnow behauptet das Gegenteil), oder ob die eigene Sichtweise auf das Gegenüber, auf das Model, nicht doch die Oberhand gewinnt. Im Business-Umfeld gilt das als Mikromanagement.
Schon wer kleinste Tricks einsetzt, um das Model anders oder besser (z.B. selbstbewusster) aussehen zu lassen, greift ja ein, da kann der Unterschied ganz gewaltig sein. Jede Einwirkung erzeugt eine Reaktion, sogar die pure Präsenz einer Kamera, und da kann der Fotograf noch so sensibel sein – das beeinflusst das Ergebnis.
Auch was einem Fotografen gefällt, ist sehr subjektiv. Die beiden Fotos auf Seite 16 und 17 zeigen sehr genau die subjektive Sicht auf Bilder und die Art, wie Fotografen dadurch manipulativ einwirken. Barnow selbst findet das frontale Bild besser, auf dem die Verletzlichkeit und Emotionalität der Frau herauskommt, wie er schreibt. Diese Wirkung wird durch leicht verschmiertes Augen-Make-up (Lidstrich) sowie durch unvorteilhaft beleuchtete Leberflecke unterstrichen, ebenso durch einen stark verengten Bildausschnitt. Da frage ich mich, ist das so, weil Barnow die Frau auf dem Bild gerne verletzlich hätte und so sehen will?
Mir selbst, und das sage ich als Frau, gefällt das seitliche Portrait mit dreidimensional modellierend gesetztem Licht und selbstbewusst ausgestrecktem Kinn deutlich besser, ich finde diese Haltung in einer anderen Frau und für mich selbst sehr natürlich. Das andere Bild grenzt durch den Schmierfleck an Respektlosigkeit (da es sich um ein hervorgehobenes im Studio fotografiertes Einzelportrait handelt und nicht Teil einer längeren Serie ist, bei einer Reportage wäre das „authentisch“).

Barnows „Wie-kriege-ich-authentische-Fotos“-Strategie ist mir ganz davon abgesehen zu nah an den Methoden die viele Fotografen ohnehin einsetzen, um möglichst intensive Portraits zu fotografieren. Denn für einen (unbeteiligten) Bildbetrachter spielt es am Ende keine große Rolle, auf welchem Weg das Foto entstanden ist. Und die Unterscheidung dürfte häufig nicht möglich sein, selbst wenn es sehr leicht ist, sich das einzubilden.
Auch am Coverfoto dieses Buches wird das deutlich, denn das Gestaltungsprinzip erinnert sehr stark an ein anderes Buchcover (Roberto Valenzuela: Perfekte Fotos mit System, hier das Auge einer Braut eingerahmt hinter einem Spitzenschleier, dadurch betont. Allerdings eine Farbaufnahme, dadurch hat das Bild einen ganz eigenen Charme. Der Blick des Models ist weniger kontrastreich und daher etwas weniger intensiv, trotzdem fesselnd. Valenzuela beschreibt den „Trick für den Blick“ in einem seiner Bücher).
Die Wirkung des Coverfotos von „Psychologie der Fotografie“ beruht ebenfalls mehr auf einem grafischen Trick und weniger auf dem Blick des Models selber: Die sehr dunkle Augenbraue bildet zusammen mit dem hellen V des Vorhangstoffes einen Rahmen, der den Blick auf die dunkle runde Iris lenkt.

Wichtig ist die Art der Entstehung hauptsächlich für Fotograf und Model selber, die wissen, was bei der Aufnahme passiert ist (und für Leute, die entweder den Fotografen oder das Model gut genug persönlich kennen, um ein Urteil über die Authentizität fällen zu können). Wenn beide bei der Entstehung der Aufnahme Spaß hatten, ist doch alles gut.
Es gibt jede Menge Tricks, um einem Model zu helfen, interessant auszusehen (siehe Valenzuela: Perfektes Posing mit System, 2015), gute (!) Schauspieler schaffen das von sich aus, und es gibt sehr effektive Schauspieltechniken, um das zu erreichen. Valenzuela weiß aber, dass er eine Illusion erschafft, zusammen mit seinem Model. Barnow glaubt an seine eigenen Tricks und hält sie für echte Magie, und dabei vergisst er, dass seine eigene Realität als fotografierender Psychologe nur bedingt übertragbar ist auf die Welt anderer Fotografinnen und Fotografen.
Denn Barnow zieht seine Erfahrungen zum großen Teil aus folgender Situation: Er und seine Studentinnen und Studenten fotografieren Patientinnen und Patienten mit psychischen Problemen im Studio (auch als eine Art Erfolgsdokumentation für die Therapie). Wahrscheinlich unter diesen Umständen eine praktikable, bequeme Lösung, er sagt selbst, um immer ideales Licht zu haben. Aber keine Strategie, die aus meiner Sicht wirklich sinnvoll und zielführend ist, wenn authentische Portraits entstehen sollen. Dafür wäre eine echte Reportage besser geeignet.
Durch die psychischen Probleme sind viele der im Buch portraitierten Models in höherem Maße ihren eigenen Emotionen ausgeliefert als „gesunde“ oder „normale“ Leute. Sie sind möglicherweise verwundbarer, einige weniger imstande sich zu verstellen – andere aber vielleicht um so mehr. Deshalb sind die betreffenden Fotos meines Erachtens nur eingeschränkt als Beispiel für authentische Fotografie geeignet. Der Mythos der Authentizität der Bilder in Barnows Buch lebt also vor allem davon, dass er Psychotherapeut ist und Patienten mit Schwierigkeiten darauf abgebildet sind.

Nachdenklichkeit, Traurigkeit, Selbstzweifel bis hin zu Schmerz, solche Emotionen gelten nach meinem Eindruck als wesentlich „kunstwürdiger“ in den Abbildungen in diesem Buch als alles was mit Freude zu tun hat. Das halte ich für den beruflich bedingte Tunnelblick eines Psychotherapeuten, auf dessen Auswirkungen er übrigens selbst hinweist.
Nur weil ein Fotograf jemanden beim Nachdenken erwischt hat, der sonst fast immer fröhlich guckt, erzielt er meiner Auffassung nach kein „authentisches“ Portrait. Und jemanden mit einem leeren / melancholischen / intensiven Blick zu fotografieren, ist auch kein Beweis für Echtheit oder besondere künstlerische Qualität – so genannte „Promts“ für diesen Look kursieren unter Profifotografen haufenweise und auch andere Tricks (s.o., Roberto Valenzuela). Auch der routiniert-freundliche Ausdruck eines Verkäufers kann durchaus authentisch sein, natürlich im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit (Menschen bei der Arbeit zu fotografieren ist überhaupt sehr spannend für mich).

Barnow nutzt weitere Tricks, um Portraits echter und intensiver wirken zu lassen, teils mit Absicht, teils unbewusst:
– Die Haut in all ihren realistischen Details naturbelassenen abzubilden, teils inclusive verwischtem Make-up
– Nahaufnahmen des Gesichts mit angeschnittenen Haaren oder ganz dicht fast ohne Haare wirken besonders intensiv, weil sie die Augen in den Vordergrund stellen
– Schwarz-Weiss-Fotografie (wirkt durch die Reduzierung ohnehin emotionaler, wenn die Kontraste stimmen)

Das Kapitel über Kreativität ist weniger auf Portraitfotografie gemünzt, sondern auf Fotografie allgemein. Es gibt diverse Übungen zur Kreativität (incl. Achtsamkeit und Bedeutung von Wissen und Erfahrung). Service für Fotografen, die sich nicht durch die entsprechende Fachliteratur wühlen wollen.

„Mindfulness“ ist ein weiteres Kapitel, ob das anderen Fotografen nützt oder nicht kann ich schwer beurteilen. Für mich ist es seit meiner ersten Kamera, die ich mit 8 Jahren bekam, so selbstverständlich mit offenen Augen durch die Welt zu gehen, dass mir die Aufforderung zu „Mindfulness“ nur ein genervtes „Rolleyes“ entlockt. Aber vielleicht gibt es auch Fotografen, für die diese Anregung nützlich ist.

Barnow geht außerdem auf den Erwerb überflüssiger und ggf. sehr teurer Fototechnik ein und kreiert für die krankhafte Ausprägung dieses Verhaltens einen eigenen Fachbegriff, Gear Acquisition Syndrome (GAS, Kapitel 8). Für Hobbyfotografen ist das sicherlich ein bedenkenswertes Problem, Profis wenden sich da wahrscheinlich eher an ihren Steuerberater als an einen Psychologen und können von vornherein den Nutzen der Technik besser abschätzen.
Dieses Kapitel war für mich wenig hilfreich, da sind Hochzeitsfotografen wohl eine der Ausnahmen, die Barnow benennt. Denn für eine möglichst umfassende und pannenfreie Langzeit-Reportage unter wirklich schlechten Lichtbedingungen ist modernste Kameratechnik sehr hilfreich, und diese Möglichkeit ist eine durchaus wichtige Säule meiner eigenen Strategie der Portraitfotografie.
Dabei muss eine Profifotografin natürlich immer auch Geschäftsfrau bleiben und auf Wirtschaftlichkeit achten. Ich muss genau wissen, welche Ausrüstung ich für den Einsatzzweck tatsächlich brauche und welche nicht. Allein um ständig mobil zu sein und nicht kostbare Zeit mit Schleppen und Aufbau zu verbringen anstatt das Event zu fotografieren. Denn auf einer Hochzeit wartet niemand, die Leute feiern weiter, auch wenn die Fotografin Ausrüstung schleppt. Wenn ich die Kinder nicht fotografiert habe, wie sie heimlich die Seifenblasen in den Brunnen umfüllen, ist der Moment vorbei.

Das letzte Kapitel dreht sich um den therapeutischen Nutzen der Fotografie und ist die Zusammenfassung eines anderen Buches angereichert mit Anregungen von Barnow. Das ist ein interessanter Aspekt, der in anderen Fotografie-Ratgebern gar keine Beachtung findet.

Meine eigene Portraitfoto-Strategie im Vergleich zu diesem Buch
Für mich selbst als Hochzeitsfotografin sind charakteristische, echte Portraits wie gesagt wichtig und schön – aber eine andere Sache ist trotzdem viel wichtiger: Wie kann ich meinen Hochzeitspaaren, ihren Familien und Gästen helfen, auf ihren Hochzeitsfotos so auszusehen,
– dass sie sich auf möglichst vielen Bildern selbst gefallen
– und gleichzeitig eine Serie echter bleibender fotografischer Erinnerungen haben, die die Geschichte dieses besonderen Tages erzählen?
Meine Strategie ist ständige Beobachtung, der richtige Moment, die richtige Perspektive – und die Perspektive auch mal wechseln. Durch eine gezielte Bildgestaltung, durch einen passenden Rahmen, kann auch ein Motiv gut aussehen und zu einer geliebten Erinnerung werden, was „hingeknipst“ irgendwie seltsam oder peinlich wirkt. Außerdem ist mir wichtig: So wenig stören wie möglich, so wenig eingreifen wie möglich und wenn dann nur sensibel oder im Vorgespräch.
Viele Menschen gefallen sich selbst auf echten, ungestellten Fotos besser – wenn man sie einfach sie selbst sein lässt und mit der Kamera einfach beobachtet. Dann erledigen sich viele Probleme von ganz alleine, für deren Lösung es massenhaft Technik und zahllose Bücher gibt. Es erfordert natürlich eine Menge Übung, im echten Leben ein charakteristisches Portraitfoto zu machen, das gleichzeitig eine gute Bildgestaltung aufweist. Da erscheint die Flucht in Pose und Studio vielen Fotografen wahrscheinlich einfacher.
Außerdem weiß ich durch ständige Experimente, dass ich nicht immer zu 100% beurteilen kann, welches Foto meinen Kunden hinterher selber besser gefällt – oder welches Foto besonders wichtig ist. Deshalb gebe ich im Zweifel mehr Bilder ab als weniger, kennzeichne aber entsprechend – manchmal sind ein paar „Bloopers“ dabei. Ich biete also eine abwechslungsreiche Mischung an. Das allerdings ist ein Service, der nur bei Fotos für den Privatgebrauch gut funktioniert – geht es um Werbeaufnahmen, mache ich das auch nicht.

Als Hochzeitsfotografin mit Schwerpunkt auf Reportagen bekomme ich echte authentische Fotos sozusagen auf dem Silbertablett serviert. Und das ganz nebenbei, obwohl Hochzeiten als Ganzes inszenierte Ereignisse sind und beim Paarshooting besonders viele (teil-)gestellte oder gezielt beeinflusste Fotos entstehen – selbst dabei drücke ich auch „nebenbei“ immer mal ab. Jedes Wochenende sehe ich wahrscheinlich mehr „authentische“ Portraits als ein reiner Studiofotograf bzw. Modelfotograf in einem halben Jahr.
Mich muss wirklich niemand davon überzeugen, dass ein authentisches Portrait meist das bessere, interessantere Bild ist im Gegensatz zu einem gestellten Foto.
Trotzdem haben beide ihre Berechtigung, jedenfalls bei einer Hochzeit, denn wer sich für hunderte bis tausende Euro ein Hochzeitskleid kauft, möchte fast immer auch ein paar Bilder, auf denen diese Kleidung richtig gut zur Geltung kommt. Das habe ich am Anfang übrigens eher widerwillig gemacht, diese gestellten Paarshooting-Bilder. Aber es gibt einfach Ansichten von Hochzeitskleidern, die ohne Paarshooting, so ganz in echt, kaum zu sehen sind. Und inzwischen mache ich das sogar gerne und habe einen Haufen Tricks auf Lager, damit sie nicht so gestellt aussehen.
Es ist ein Unterschied, ob Portraits „für die Kunst“ entstehen oder ob Kunden dafür bezahlen. Ein Foto mit künstlerisch wertvollem Look kann ich ganz zynisch ausgedrückt mit jeder Kamera machen, in fast jeder (Licht-)Situation – die Frage ist nur, ob dann das abgebildet ist, was meinen Kunden wichtig ist und ob die Kunden und das gleiche Kunstverständnis haben wie ich.

Am Ende…
Noch eine Anmerkung zu der Auswirkung von „Psychologie der Fotografie“ auf die Fotografenwelt: Von Kollegen habe ich gehört, dass ihnen in einem Fotografen-Workshop eine Übung begegnet ist, die offenbar aus diesem Buch stammt. Die Teilnehmer sollten sich längere Zeit paarweise in die Augen schauen, um die Wirkung der Ausschüttung des Hormons Oxytocin am eigenen Leib zu erfahren (das wirkt vertrauens- und bindungsfördernd). Was, wie Barnow schreibt, nur in nicht-aggressiven Situationen funktioniert und auch nicht in Starren ausarten soll, andernfalls erzeugt es Aggression (Anm. der Rezensentin: Manche Sekten nutzen diese Technik, um Mitglieder regelrecht zu brechen).
Das fand ich interessant, wenn nicht etwas gewagt bei so einem Workshop – woher wissen die Veranstalter, dass da nicht auch Leute dabei sind, die sich mehr als Mitbewerber und weniger als Kollegen verstehen? Dadurch könnte die Situation zumindest latent aggressiv werden.

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Zusammenfassung
Der Fotograf Roberto Valenzuela beschreibt an zahlreichen Bildbeispielen, wie Posen wirken und fordert den Betrachter immer wieder dazu auf, sich eine eigene Meinung zu bilden. Sein Ziel ist es, Fotografen und Models / Bräuten natürliche elegante fehlerlose Posen näher zu bringen. Dafür hat er ein System entwickelt, das die Grundprinzipien erläutert und somit ein Verständnis für die Hintergründe ermöglicht, so dass es nicht notwendig ist, sich Posen zu merken. Anwendbar soll das sein für Einzel-, Paar- und Gruppenshootings.

Mein Fazit zu diesem Buch:

Wer wirklich künstliche Posen fotografieren möchte, für den ist dieses Buch durchaus lesenswert. Ich persönlich bevorzuge echte natürliche Reportagefotos, was aber in manchen Situationen nicht sinnvoll ist. Trotzdem ich fand das Buch aus zwei Gründen sehr interessant, weil ich mich gerne mit gegenteiligen Positionen auseinandersetze.

Der erste Grund: Keine Hochzeitsfotografin und kein Fotograf kommt darum herum, Posen zu fotografieren. Zum Beispiel kommen Brautkleider mit Schleppe in den meisten echten Situationen nur schwer zur Geltung (kommt auch auf die Location, die Zahl der Gäste und die Dauer der Reportage-Buchung an). Manchmal haben auch die Paare selbst Wünsche, die sich nur durch eine Pose realisieren lassen.

Der zweite Grund: Ich habe bei Valenzuela an vielen Bildern gesehen, wie ich es nicht haben will, was durchaus spannend ist. Denn sozusagen „natürliche Posen“ zu fotografieren ist zwar das Ziel hier, aber es wird oft nicht erreicht. Sogar auf vielen Bildern nicht, die ein positives Beispiel darstellen sollen…. und jetzt geht es ins Detail:

Rezension / Analyse „Perfektes Posing mit System“
Warum das so ist, erklärt der Autor ironischer Weise selbst, und diese Seite 214 ff. ist für mich die zutreffendste im ganzen Buch (Thema „Gestellter Fotojournalismus“). Dort schreibt er, es wäre seine Idealvorstellung, dass gestellte Fotos ungestellt und „fotojournalistisch“ aussehen.

Dazu passt schon das Titelbild nicht, dass der Verlag ausgesucht hat. Die Frau sieht aus wie eine Wachspuppe. Sie ist sehr gut platziert vor dem Hintergrund, die Hände sind auf den ersten Blick perfekt und auf den zweiten extrem künstlich weil einfach zu perfekt… das ist eine ganz eigene Art von Fotografie, Menschen so dermaßen künstlich und modelliert aussehen zu lassen. Wer das will, sollte das Buch lesen.

Wer dagegen natürliche Fotos machen möchte, sollte sich ein anderes Werk zum Vorbild nehmen, auch wenn es der erklärte Wunsch des Autors ist, dass Fotos ungestellt aussehen.

Meine Ansicht: Es ist unterm Strich nicht zielführend und effizient so zu posieren, wie Valenzuela es vorschlägt. Der Weg zu natürlich wirkenden Fotos sind für mich echte Aktivitäten, Bewegung und Promptographie, manchmal einfach bequem hinstellen und tief durchatmen.

Dass Posen oft merkwürdig / falsch / unästhetisch aussehen liegt genau daran, dass es eben Posen sind die im Detail künstlich arrangiert wurden, und zwar mühevoll – das ist den Bildern dann anzusehen.

Es gibt natürlich für alles Ausnahmen, auch hier. Das bereits erwähnte Coverfoto sieht auf seine Art toll aus, es zeigt, dass auch Posen ihre Berechtigung haben. Zu dem Motiv passt der Wachspuppen-Look, die überperfektionierte Handhaltung, die extrem präzise Verwendung des Hintergrundes. Dabei hat Valenzuela tatsächlich auf seine Art das Totperfektionieren von gestellten Fotos so dermaßen totperfektioniert, dass es fast schon wieder gut ist.

Aber nur solche Fotos zu machen, wäre mir auf Dauer – ja, eben zu tot, zu standardisiert, zu gefälscht. Dabei entstehen keine Erinnerungen für lebende Hochzeitspaare, sondern nur eine Art Platzhalter nach dem Motto: Dieses Bild wäre unser Hochzeitsfoto gewesen, wenn es denn wirklich existiert hätte. Das sind Fotos, die Fotografen gefallen, den (betroffenen) Kunden manchmal nicht. Jedenfalls nicht, wenn sie hauptsächlich solche Bilder bekommen.

Valenzuela arbeitet mit sehr detaillierten Anweisungen für seine Models, die sich direkt auf die Haltung beziehen. Das spricht aus jedem Bild, vielleicht mit Ausnahme von einigen am Ende, die er auch selbst als seine neueren Werke bezeichnet. Er arrangiert Menschen wie Puppen. Von den Menschen bleibt dabei nicht viel übrig.

Das System das er vorstellt ist an sich schon so komplex, dass es fast einfacher ist sich Posen zu merken. Deshalb täuscht der (offenbar beabsichtigte) Eindruck, das System wäre einfacher als Posen auswendig lernen. Sicher ist es sinnvoll darüber nachzudenken was auf Fotos an Körperhaltungen gut und was künstlich aussieht. Aber es gibt eben deutlich effektivere Techniken, um halb gestellte Fotos zu machen als die von Valenzuela angewendete. Bis in die Fingerhaltung zu modellieren, das ist anstrengend für alle. Besser funktioniert eine „echte“ Aufgabe für das Hochzeitspaar. Dabei passiert es auch, dass Finger mal seltsam aussehen, aber es wirkt wenigstens nicht so verkrampft.

Weiterer Kritikpunkt: Valenzuela sieht es als Ideal an, dass Frauen auf Bildern „feminin“ und sexy aussehen, dafür gibt er auch Anleitungen wie z.B. der Rücken in eine passende S-Kurve gebracht werden soll. Das erscheint sehr altmodisch inzwischen, solche Bilder haben auf mich schon immer albern gewirkt – auch wenn Männer betont männlich aussehen sollen. Spätestens seit „Me too“ ist diese Art der Fotografie doch sehr auf dem Rückzug. In der Hochzeitsfotografie werden solche Motive inzwischen eher ironisch zitiert (zum Beispiel Männer im Anzug mit verschränkten Armen und Sonnenbrillen in Mafia-artiger V-Formation).

Bei diesem Buch komme ich nicht darum herum, kulturelle Unterschiede zu betrachten. Valenzuela lebt in Nordamerika. Nach meiner Erfahrung mit Hochzeitsgästen werfen sich Nordamerikaner tendenziell unaufgefordert in Pose, wenn sie eine Kamera sehen (für natürliche Reportagebilder ein echtes Problem). Was Gruppenfotos betrifft, ist das besonders wichtig, denn auf dieser Grundlage – die Bereitschaft, zu posieren – geht es viel schneller, ein aufwändig gestaltetes Gruppenfoto zu arrangieren. Falls die Gäste davon erst überzeugt werden müssen, sind manche Vorschläge für Posen in einem vernünftigen Zeitrahmen kaum umsetzbar. Bis dahin ist die Hochzeitssuppe kalt.

Wenn ich das Buch unter der Voraussetzung betrachte, ich will gestellte Fotos machen: Teilweise kann ich Valenzuelas Hinweise nachvollziehen, teilweise nicht. Valenzuela sagt selbst, jeder soll sich als Übung zu den Beispielbildern seine eigenen Gedanken machen. Allerdings habe ich festgestellt, dass ich viele der Posen unterm Strich abschreckend finde. Ich weiß jetzt noch genauer, warum meine eigene Strategie der Hochzeitsfotografie für mich funktioniert, das auch etwas wert.

Es sind wirklich sehr viele Beispielbilder enthalten. Leider stimmen manchmal die Bildunterschriften oder die Verweise zum Text nicht, was verwirrend ist. Besonders unter dem Aspekt, dass eigene Urteilsbildung zur Lektüre dazugehört und sowohl positive als auch negative Beispiele gezeigt werden.

Um bessere Hochzeitsfotos zu machen, kann ich dieses Buch deshalb nicht empfehlen, aber Roberto Valenzuela hat auch noch andere Bücher geschrieben, auf die ich bei Gelegenheit zurückkommen werde. Ohne sein Werk „Picture Perfect Practice“ (2012) wäre ich vermutlich nicht auf die Idee gekommen, dieses Buch zu kaufen.